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Nature-Deficit Disorder

Das sogenannte Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (ADHS/ADS) ist ja für viele Eltern, Ärzte und Lehrer eine gern genommene Legitimation für die Ruhigstellung aktiver Kinder. Gerne auch mal, weil es ja so einfach ist, mit Medikamenten. Das ist häufig voreilig geurteilt und teilweise unverantwortlich! Dabei handelt es sich doch gar nicht selten um ein schlichtes Bewegungsdefizit. Gebt den Kindern wieder Auslauf – und den Erwachsenen auch gleich. Es schadet nicht. Ganz im Gegenteil, es kann ein sehr wirksames Medikament sein!

Der amerikanische Wissenschaftler Richard Louv hat sich nun einem neuen Forschungsfeld gewidmet, das sich mit der, von ihm selbst so bezeichneten, Natur-Defizit-Störung befasst. Und genau das könnte der Kern vieler Probleme (z.B. Stress, Burn-Out, Hyperaktivität, Gereiztheit) sein. Wird unser seelisches  Gleichgewicht aus der Balance gebracht oder werden sogar bestimmte Fähigkeiten gestört, wenn wir nicht ab und zu rausgehen?

Untersuchungen haben tatsächlich ergeben, dass Aufenthalte in der Natur einen starken Einfluss auf unseren Geist haben. Selbst in kleinen Dosen verabreicht, sorgen diese Zeiten des „Draussen-seins“ für eine Verbesserung der geistigen Beweglichkeit, der Kreativität und wahrscheinlich sogar der Intelligenz. Dabei werden unsere Sinne geschärft, wir denken klarer und finden einen Ausgleich zum 24/7-Leben!

Das Problem: 2008 lebten erstmalig mehr Menschen auf diesem Erdball in Städten als auf dem Lande und gleichzeitig stieg der Gebrauch von technologischen Medien immens. Und je mehr High-Tech wir konsumieren desto mehr Natur sollten wir eigentlich für uns in Anspruch nehmen, um in eine gesunde Balance zu kommen. Je länger und häufiger wir beispielsweise in geringen Abständen auf Monitore starren, umso schneller verlieren wir ganz wichtige Eigenschaften. So konnten Wissenschaftler in einer Studie zeigen, dass junge Menschen mittlerweile weniger gut sehen, weniger selektiv hören und eine geringe Aufmerksamkeit gegenüber Signalen aus der Umwelt aufweisen. Man könnte also fast sagen, wir gewöhnen uns die Natur ab!

Das gibt zu Denken. Wissenschaftler mahnen jedoch fatale Folge dieser Entwicklung an. Wir glauben, (fast) alles zu wissen und zu können und verlieren doch an echter Lebensfähigkeit im Sinne unserer Vorfahren. Natürlich entfernen wir uns Stück für Stück vom realen, erlebnisreichen Leben und verlernen damit, uns voll im Leben und für das eigene Leben zu engagieren. Gibt es denn auch gute Nachrichten? Ja.

Die Psychologen Rachel und Stephen Kaplan erkannten schon in den 70er-Jahren die regenerative Wirkung der Natur. So können verloren gegangene Fähigkeiten durchaus wiedergewonnen werden. John Hockenberry von der Uni Michigan bewies, dass mentale Leistungen nach einem Spaziergang deutlich besser waren als bei ruhigem Sitzen am Schreibtisch. Na klar, eigentlich weiß man das. Doch wer macht´s denn wirklich und welche Unternehmen geben ihren Mitarbeitern beispielsweise die Freiheit, sich ab und zu das Hirn „durchzulüften“? Der Hamster soll doch in seinem Rad ordentlich rennen.

Am Ende seines Artikels fragt Louv zurecht: „Wir sprechen über das Recht der Menschen, freien Zugang zu Bibliotheken, zu Schulen und zu Internet-Anschlüssen zu erhalten. Doch niemand spricht wirklich ernsthaft darüber, jedem Menschen das Recht einzuräumen, ab und zu durch die Wälder zu spazieren.“

„The Nature Principle“ von Richard Louv. Hier geht´s zum Buch-Shop: amazon 

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