Olympia 2016: Die wertlose Million Euro?
Die erste Olympia-Woche hatte es in sich. Das Jammern der deutschen Schwimm-Funktionäre und die Erklärungen zu den mäßigen Leistungen der deutschen Schwimmsportler hat in der ersten Wettkampfwoche an den Nerven der Fans gezerrt und die Freude an diesem tollen Event deutlich getrübt. Um es ganz klar zum Ausdruck zu bringen und jedem Anflug von Häme schon zu Beginn entgegen zu treten: es war nicht schön, die unglücklichen Gesichter der Sportler zu sehen, die so viel Energie investiert haben, um im Olympiabecken zu glänzen. Denn man darf nicht vergessen, dass Olympia im Regelfall für Sportler ein „once-in-a-lifetime-event“ ist. Wer dort – nach eigenen oder anderen Vorgaben bewertet – versagt, kann das Ergebnis vielleicht nie wieder in seinem Leben zurecht rücken. In dem Zusammenhang waren besonders die Beckenrand-Interviews von ARD und ZDF teilweise von einer Unverschämtheit (und schließlich auch Unkenntnis) gegenüber dem Athleten geprägt, wie sie schwer zu ertragen war.
Interessant aber auch, wie sich das Destillat der Analysen darstellt: „Ein deutscher Olympiasieger sollte eine Prämie von einer Million Euro erhalten“, fordert da der Bundestrainer. Und grundsätzlich sei das schlechte Abschneiden vor allem darauf zurückzuführen, dass die Förderung des Schwimmsports in Deutschland einfach nicht genüge. Es muss mehr Geld her, ist die einhellige Meinung derer, die verantwortlich waren, eine Mannschaft auf Rio vorzubereiten, die in der Lage ist, Bestzeiten zu schwimmen.
Gelungen ist dieses Unterfangen nämlich nicht. Und so muss man sich fragen, ob die Auslobung einer hohen Prämie die Situation vor Ort wirklich verbessert hätte? Wie könnte sie das? Da passen die Argumentationsketten nicht zusammen und am Ende der ersten Woche, und besonders mit Beginn der zweiten erfolgreichen deutschen Olympiawoche, fragt man sich ernsthaft: Wo liegt der Kern des deutschen Schwimm-Problems?
Employer Branding & Zielgruppen: Markenbildung „DSV“ als Chance
In der Wirtschaft hat es sich längst herum gesprochen: man muss sein arbeitendes, leistendes Personal pflegen und ein attraktiver Arbeitgeber sein. Hierbei werden Konzepte aus dem Marketing angewandt, um qualifizierte Mitarbeiter nicht nur anzuwerben, sondern dauerhaft zu binden. Schließlich ist das qualifizierte Personal der Schlüssel zum Erfolg, die Garantie, gegen die Konkurrenz zu bestehen. Employer Branding nennt sich das Tool, das dem deutschen Schwimmsport fehlt. Denn irgendwie ist der Athlet ein Arbeitnehmer des Verbandes – zumindest kommt einem das im Amateursport Schwimmen genauso vor.
Ergibt sich für den Betrachter, oder sogar den potenziellen Kunden (sprich: Nachwuchssportler, Sponsoren usw.) ein harmonisches Bild, wird eine Marke attraktiv. Branding – eine Marke zu kreieren, Richtlinien für zielgruppengerechte interne und externe Kommunikationsstrategien zu erstellen und strikt zu verfolgen, läßt eine Marke begehrenswert erscheinen. Dann fänden sich auch urplötzlich Sponsoren, die Teil einer Vision werden möchten und gerne Partner eines modernen Verbandes sein möchten. Doch Verbände braten ja gerne im eigenen Saft. Das macht das IOC leider nicht anders.
Irgendwie eingeschüchtert – das war die Außendarstellung der Top-Athleten. Irgendwie ratlos – das war die Außendarstellung der Trainer und Funktionäre in den zahlreichen Gesprächen mit den teilweise sehr mäßig vorbereiteten Mitarbeitern der Öffentlich Rechtlichen Sendeanstalten. Eine attraktive Außendarstellung, respektive kluges Krisenmanagement, einer starken Marke sieht anders aus. Viel Potenzial für die Marke „DSV“!
„Mentalität schlägt Wissen!“, ist eines der Mottos, wenn es in der Wirtschaft um die Rekrutierung von erfolgversprechenden Mitarbeitern geht. Was nichts anderes bedeutet, als dass Wille und Motivation über dem technischen Wissen steht. Oder anders gesprochen: ich muss lieben was ich tue, um Höchstleistungen zu erbringen! In der Wirtschaft boomen Fortbildungsangebote zur Personalführung, Typologie und anderen Tools aus der Psychologie. Weil man (schon recht lange) weiß, wie wichtig es ist, seine Führungspersonen in diesem Sektor fit zu machen. Offenbar Investitionen mit exzellentem return-on-investment.
Global Player und wertlose Mega-Prämien
Beim Beobachter großer internationaler Wettbewerbe und konzentrierter Trainingsmaßnahmen der vergangenen Jahre entsteht dieses eigenartige Gefühl, der Top-Athlet kann unter dem DSV-Dach nicht eigenverantwortlich agieren. Wäre der DSV ein kommerzieller Anbieter, er wäre längst gescheitert. Der Deutsche Schwimm-Verband hat wohl die Entwicklung der Zeit verschlafen und vergessen, den eigenen Sportlern vor allem eins vorzuleben: den unbedingten Rückhalt und den Anspruch, eine Atmosphäre zu schaffen, die den Sportler zu Höchstleistungen antreibt. Nur dann entsteht diese Stimmung über alle Alters- und Leistungsebenen, die in einem Satz zusammenzufassen ist: Schwimmen ist einfach ein cooler und attraktiver Sport!
Würde man als sportbegeisterte Eltern nach Olympia in Rio anhand der Außendarstellung der Verbände einen Sport für sein Kind auswählen, würde der (deutsche) Schwimmsport in der ersten Runde ausscheiden. In der Schwimmersprache klingt das etwas weniger dezent: er würde schlicht ersaufen. Für Fans und Schwimm-Enthusiasten ein trauriges Szenario. Der deutsche Schwimmsport besitzt keine klare Kontur. In dem Zusammenhang würde es auch helfen, die Sportler auf die zu erwartenden Interviews vorzubereiten und ihnen damit eine wichtige Hilfestellung anzubieten.
Und noch einmal zu einer der Kern-Fragen zurück: Gäbe es den Deutschen Schwimm-Verband eigentlich noch, wenn er ein Unternehmen der freien Wirtschaft wäre? Eher nicht. Nicht ohne Grund ist es den Global Playern unserer Zeit sehr wichtig, als attraktive Marke zu gelten und in den entsprechenden Rankings Top-Platzierungen zu erreichen. Realisiert wird dies über attraktive Strukturen, Erlebniswerte, flache Hierarchien und die Unterstützung, die individuellen Möglichkeiten zur Entfaltung, sprich zur persönlichen Höchstleistung, zu bringen. DAS ist der Wettbewerb der heutigen Zeit!
Investition in die Freude und Leidenschaft an der Sache
Hier muss der Verband folgerichtig ansetzen! Investitionen in das Management statt des völlig unsinnigen Auslobens einer Mega-Prämie von einer Million Euro. Motiviert dieses Geld einen 12-jährigen Nachwuchsschwimmer, täglich ins Schwimmbad zu fahren? Macht ihn die Aussicht auf das Geld leidenschaftlicher? Sicher nicht. Wäre auch nur ein deutscher Schwimmer in Rio schneller gewesen mit der Aussicht auf den Jackpot? Sicher nicht. Wer sich mit den Motivationsebenen (speziell eines Sportlers) ernsthaft auseinander setzt, würde niemals auf diese extrinsische Anreizebene kommen. Sie wirkt einfach nicht!
Der deutsche Schwimmsport muss dringend zu einer modernen Sport-Marke mit modernen Strukturen entwickelt werden. Dann nämlich schlägt die Kraft der Mentalität und der Leidenschaft das eher nüchterne technische Wissen, welches zweifelsfrei vorhanden ist. Geht man beim DSV nun ehrlich und mutig mit sich ins Gericht, steht der deutsche Schwimmsport bei Olympia 2020 in Tokio sicher auch wieder dort, wo er hingehört. So wichtig wie der Erfolg aber: wir wollen Sportler und Trainer erleben, die wieder sichtbare, intrinsische und mitreißende Freude an diesem tollen Sport ausstrahlen.
An die Sportler, die Elite und die Heimtrainer
Und zum Schluss meinen größten Respekt an jeden einzelnen Sportler, der die unglaubliche Hürde genommen hat, sich für die Olympischen Spiele qualifiziert zu haben und damit zur absoluten Elite seiner Sportart gehört. Kaum jemand weiß, was man speziell als Schwimmer über viele Jahre hinweg dafür tun und opfern muss! Derselbe Respekt gebührt übrigens auch denjenigen Sportlern, die dieselben Opfer gebracht haben, aber vielleicht nur im Bruchteile einer Sekunde an der Qualifikation scheiterten. Eigentlich müsste man nun über die entscheidende Rolle des Heimtrainers sprechen. Aber das würde den Rahmen dieses Artikels sprengen.
Vielen Dank für das Lesen dieses Artikels. Ich bekenne mich: ich bin ein Schwimm-Enthusiast.