Triathlon: Gibt es den runden Tritt?
Radfahren: ist der runde Tritt ein Mythos?
Studien, Tipps und Erklärungen
Lang andauernde sportliche Leistungen kennzeichnen sich vor allem durch eine relativ monotone Bewegungsausführung. Auf den Triathlonsport bezogen bedeutet dies, dass sich komplette Bewegungszyklen in identischen koordinativen Muster wiederholen. Die Disziplinen Schwimmen, Radfahren und Laufen gehören deshalb alle den sogenannten zyklischen Sportarten an.
Eine weitere charakteristische Eigenschaft der drei Triathlondisziplinen ist der stete Wechsel zwischen muskulärer Belastung und Entlastung. Nur dank dieses Wechsels sind sportliche Leistungen über eine Dauer von mehreren Stunden möglich. Was beim Schwimmen die Überwasserphase ist, findet man beim Radfahren im Moment der hinteren Aufwärtsbewegung des Beines und beim Laufen in der Schwungphase. Diese Momente dienen nämlich der Erholung und beinhalten wichtige, wenn auch sehr kurze, regenerative Anteile an der Gesamtbewegung.
Ständiger Druck und Zug?
Diesem motorischen Grundmuster das größte Maß an Vortrieb zu entlocken, ist die Aufgabe der Biomechanik. Über die Analyse der vortriebsrelevanten Anteile, gelangt man sehr schnell zu sogenannten Antriebskonzepten. Dahinter steckt der Wunsch nach einem möglichst permanenten, ökonomisch effektiven und letztlich auch realisierbaren Bewegungsmuster. Das Streben nach einem ununterbrochenen Vortrieb wird beim Radfahren deshalb immer wieder als Modell des runden Tritts im Radfahren diskutiert.
Man untergliedert die Trittbewegung beim Radfahren in vier Anteile (siehe Abbildung). In der höchsten Fußposition befinden Sie sich in der Schubphase (Sektor 1). Die darauf folgende Abwärtsbewegung des Pedals wird als Druckphase bezeichnet (Sektor 2). Hier entsteht aus dem Zusammenwirken eines idealen Hebels und dem effektiven Einsatz der vorderen Oberschenkelmuskulatur der größte Impuls und damit auch die höchste Beschleunigung. Der anschließende, untere Bewegungssektor wird als Zugphase (Sektor 3), die folgende Aufwärtsbewegung als Hubphase (Sektor 4) bezeichnet.
Der Kraft aus den beteiligten Muskeln (hauptsächlich die vordere Oberschenkelmuskulatur) wird über die Füsse auf das Pedal übertragen und dort in einen Impuls umgesetzt. Die größte Kraft wird immer dann übertragen, wenn die Kraftrichtung senkrecht auf das Pedal ausgerichtet ist (Tangentialkraft), d.h. in einem rechten Winkel zur Kurbel. Daneben treten zusätzlich radiale Kräfte auf, die auf der Kurbellängsachse verlaufen und keinen Vortrieb erzeugen.
Studie über den biomechanischen Wirkungsgrad
Der Biomechaniker David Sanderson von der Pennsylvania State University untersuchte bereits 1986 das Optimierungspotenzial der Trittbewegung. Der Ausgangspunkt seiner Untersuchung war die Fragestellung, wie man zu jeder Zeit der Trittbewegung tangentiale Kräfte entwickeln könne. Würde dies gelingen, könnte man den Anteil der vortriebswirksamen Leistung auf theoretisch nahezu 100% steigern. Dies würde jedoch auch bedeuten, zu jedem Zeitpunkt der Kurbelumdrehung einen senkrechten Kraftimpuls realisieren zu müssen, d.h. mittels einer dauerhaften und runden Trittbewegung.
Der runde Tritt ist seit vielen Jahren Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. U.a. war es der deutsche Wissenschaftler T. Henke von der Sporthochschule Köln, der in diesem Zusammenhang den Begriff des biomechanischen Wirkungsgrades etablierte. Er beschreibt den Wirkungsgrad als das Verhältnis der Summe der Tangentialkräfte und der Summe der resultierenden Kräfte über eine komplette Kurbelumdrehung.
Theorie des Pedalzugs
Den höchsten Wirkungsgrad würde ein Radfahrer erzielen, wenn er demzufolge nicht nur in der abwärts gerichteten Bewegung (Druckphase) sondern z.B. auch in der Aufwärtsbewegung (Hubphase) Druck auf das Pedal ausgeübt werden würde. Der runde Tritt würde demnach vor allem über eine zusätzliche sehr aktive Zugbewegung in der Zug- und Hubphase und das sofortige kraftvolle Schieben des Pedals im oberen Bereich der Kurbelumdrehung (Schubphase) realisiert werden. Kennzeichnend dafür ist der ständige Zug auf der Kette, um die aufgewendete Kraft tatsächlich in Vortrieb umzusetzen.
90% in Sektor 2 und 3
Der amerikanische Wissenschaftler Steve Kautz untersuchte 1991 bei Spitzenradfahrern den Drehmomentverlauf und dokumentierte eindrucksvoll, dass der mit Abstand größte Kraftimpuls in Sektor 2 (Druckphase) erzielt wurde. Im Anschluß an diese Phase wurden nur noch sehr geringe, teils sogar negative Kraftwirkungen gemessen.
Martin Hillebrecht, Bewegungswissenschaftler an der Uni Oldenburg, untersuchte Spitzenathleten aus dem Bahnradbereich. Auch er stellte fest, dass die Hauptarbeit in Sektor 2 geleistet wird und selbst Spitzensportler mit einem hochgradig ausgeprägten, motorischen Bewegungsmuster, größtenteils negative Wirkungsgrade in Sektor 4 erzielten. Das Bein lastete also passiv auf der Kurbel, womit die Hubphase deutlich regenerativen Charakter erhält. Die vortriebswirksamen Leistungen waren in Sektor 2 (= 70%) und Sektor 3 (= 20%) erkennbar. Auch Änderungen in der Intensität bzw. der Trittfrequenz brachten keine anderen Erkenntnisse.
Hub ineffektiv?
Gerade die für den runden Tritt so wichtige Hubphase scheint also keine positive Wirkung entfalten zu können. Neben der streng biomechanischen Betrachtung muß es folgerichtig weitere Einflußgrößen geben, die die Effektivität der Trittbewegung bestimmen.
Eine Gruppe von Wissenschaftlern um V. Zschorlich mahnte an, dass eine optimale biomechanische Ausführung nicht gleichbedeutend auch physiologisch effektiv umsetzbar sei. So müsse für den runden Tritt und die aktive Zugbewegung besonders die Hüft- und Kniebeugende Muskulatur integriert werden. Der mögliche Leistungsgewinn müsse nicht zwangsläufig in einem guten Verhältnis zum Energieverbrauch stehen. Der Gesamtwirkungsgrad würde also eher negativ beeinflußt. Der Theorie des runden Tritts steht also scheinbar die Umsetzbarkeit im Wege!
Anspannung vs. Entspannung
Kehrt man zu den physiologischen Grundprinzipien zyklischer Sportarten zurück, so wird deutlich, woran es hapert. Eine fehlende Erholungsphase stört den Gesamtablauf der Bewegung und führt zu einer dauerhaften muskulären Anstrengung und einem erhöhten Energieverbrauch. Der runde Tritt als Fehleinschätzung? Offensichtlich muß man diese Frage mit ja beantworten.
Doch muß das nicht unbedingt eine schlechte Nachricht für Sie sein. Denn schließlich geben die zahlreichen Untersuchungen Aufschluss über Wege der Leistungsoptimierung.
Konzentration auf den Druck
Wenn allein 70% der Vortriebsarbeit in der Druckphase realisiert werden, könnte eine weitere Konzentration auf diesen Bewegungssektor und eine zielgerichtete Vorbereitung sicherlich zu Leistungszuwächsen führen. Neben einer trainingsmethodischen Betrachtung, läßt auch das Material Chancen erkennen, wie man den Wirkungsgrad der Trittbewegung optimieren kann.
Konzentrieren Sie sich beim Training auf eine hohe Kraftentfaltung in der Druckphase. In Sektor 2 haben Sie optimale Hebelverhältnisse und können einen hohen Impuls realisieren. Im Training können Sie die Intensität kurzfristig erhöhen, indem Sie z.B., ähnlich wie beim schnellen Laufen, das Pedal wie eine heisse Herdplatte betrachten. Mit einem kurzen und steilen Kraftanstieg können Sie diese Phase auch koordinativ sehr effektiv trainieren.
Ovale Kettenblätter?
Möchten Sie Ihr Material auf Ihre Stärken hin verändern, könnten Sie über die Montage von ovalen Kettenblättern nachdenken. Ovale Kettenblätter führen über ihre ungewöhnliche Form zu einer längeren Druckphase und einer verkürzten Schubphase. Bei gleichbleibender Herzfrequenz konnte in einer Untersuchung der Triathlon-Redaktion eine Erhöhung der Wattleistung um knapp vier Prozent gemessen werden. Eine Anschaffung also, über die man nachdenken könnte.
Und wenn es um die optimierte Kraftübertragung auf das Pedal geht, dann sind Sie gut beraten, Ihre Sitzposition überprüfen und anpassen zu lassen. Nur wenn Ihre Hebel richtig platziert sind, kann die Muskelkette aus Rücken-, Rumpf- und letztlich Beinmuskulatur effektiv arbeiten. Eine Optimierung macht Sie nicht nur schneller, sondern läßt Sie auch ökonomischer treten.
Fazit:
Zusammenfassend muß man das Modell des runden Tritts nach allen bisherigen Untersuchungen wegen seiner fehlenden Umsetzbarkeit in die Praxis als eher theoretische Überlegung bewerten. Aussagen, die man von Athleten und Trainern häufiger einmal über den runden Tritt hört, umschreiben dann wohl eher das Gefühl, koordinativ so fein abgestimmt zu fahren, dass muskuläre Be- und Entlastung gut harmonieren und es einfach „rund läuft“. Denn letztlich bleibt die Fähigkeit, in der Belastungsphase einen kräftigen Impuls auf das Pedal zu geben und sich unmittelbar darauf in der anschließenden regenerativen Phase kurzfristig zu erholen, das Maß der Dinge für eine harmonische und effektive Trittbewegung beim Radfahren.
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